Unsere Kundinnen und Kunden und ihr Engpass

Nehmen wir einmal an, Sie sitzen im Hörsaal einer Uni oder einer Fachhochschule. Ich halte einen Vortrag über Strategieentwicklung im kleinen Unternehmen. Sie hören mit voller Aufmerksamkeit zu. Ich würde ihnen erklären, dass nachdem Sie Ihre Stärken kennen und nachdem Sie ein gutes Gefühl für Ihre Zielgruppe entwickelt haben, Sie sich als Nächstes Gedanken über den Engpass bei Ihren Kunden machen müssen. Das ist das brennendste Problem oder der größte Wunsch Ihres Kunden. Wenn das gelöst ist, dann fließt Geld. So die Theorie …

 

Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie, aber sie hat so ihre Grenzen. Denn selbst das brennendste Problem oder das dringendste Bedürfnis sind etwas Flüchtiges und können sich schnell ändern.

 

Stellen Sie sich vor, es ist ein sonniger und heißer Sonntagvormittag im Sommer. Sie sehnen sich nach Abkühlung. Darum beschließen Sie, mit dem Fahrrad in das nächste Freibad zu fahren. Am Weg dorthin werden Sie von einem Fußgänger übersehen, der die Straße überquert, ohne zu schauen. Sie müssen ausweichen und kommen zu Sturz. Dabei verletzen Sie sich und müssen ins Krankenhaus. Ihr dringendstes Bedürfnis hat sich augenblicklich geändert. Nicht das kühlende Freibad ist die „Rettung“, es ist sprichwörtlich die Rettung. Im Krankenhaus angekommen warten Sie nun sehnsüchtig darauf, dass Sie endlich untersucht werden und Ihre Verletzung behandelt wird. Nach einiger Zeit bemerken Sie, dass Sie ganz dringend die Toilette aufsuchen müssen. Die „Rettung“ ist dann nicht mehr das ärztliche Personal. Es ist ein Angehöriger einer mitleidenden wartenden Person, der Sie zur Toilette bringt. Nachdem Sie Ihr großes Geschäft erledigt haben, stellen Sie fest, dass sich kein Toilettenpapier auf der Toilette befindet. Gleichzeit kommt der Arzt, der Sie untersuchen möchte. Wer ist nun die „rettende“ Person? Der Hausangestellte, der Ihnen Toilettenpapier bringt, oder die Ärztin?

 

Spätestens jetzt, wo wir überlegen, was unseren Kundinnen am besten hilft, sind wir an dem Punkt, an dem wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir es mit einem komplexen System zu tun haben. Eine zentrale Eigenheit komplexer Systeme ist, dass ihr Verhalten nicht vorhersagbar ist. In aller Regel kann das Verhalten im Nachhinein erklärt werden, ganz selten aber im Vorhinein prognostiziert. Selbst die größten Datenmengen helfen uns dabei nicht. Das jüngste Hochwasser hat das wieder bewiesen. Selbst die leistungsfähigsten Computer und eine noch nie dagewesene Anzahl an Daten konnten keine verlässlichen Vorhersagen über das Verhalten des Hochwassers produzieren. Es hat immer noch jede Menge Überraschungen gegeben.

 

 

Wenn wir also die Nöte und Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden einigermaßen verstehen wollen, dann hilft es natürlich, wenn wir mit ihnen sprechen und ihnen gut zuhören. Das reicht aber nicht. Wie wir dem „Engpass“ bei unseren Kunden auf die Schliche kommen können, darüber lesen Sie im nächsten Artikel.


Eine Frage der Robustheit

 

Auf einer Skala von 0 … 10 schätze ich mein Wissen über den Engpass bei meinen Kundinnen und Kunden so ein:

 

0 … keine Ahnung. Ich habe so viele unterschiedliche Kunden. Es ist unmöglich, die alle zu verstehen. Ich nehme, was ich bekomme … oder … ich stehe ganz am Anfang. Ich glaube, eine gute Vorstellung zu haben, aber überprüft habe ich es noch nicht.  

 

5 … ich spreche regelmäßig mit meinen Kunden. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Ich probiere halt herum und dann ist immer wieder ein Produkt oder eine Lösung dabei, die funktioniert.

 

 

10 … ich stehe in regelmäßigem Austausch mit meinen Kundinnen und Kunden. Ich kenne aber auch ihre Kunden und deren Meinung zu meinen Kunden und ich kenne andere Lieferanten meiner Kunden und bekomme auch von ihnen Informationen.