Die Besprechung neigt sich dem Ende zu. Die To-dos werden noch schnell niedergeschrieben, Termine festgelegt und die Verantwortlichkeiten verteilt. So wie es sich eben gehört. Erleichtert verlassen Sie gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen das Besprechungszimmer. Beim anschließenden Kaffee mit einigen der Sitzungsteilnehmer in der Küche lässt die Spannung allmählich nach und Sie reflektieren gemeinsam die Besprechung. Und siehe da, Sie trauen Ihren Ohren nicht: Waren Sie tatsächlich bei der gleichen Veranstaltung? Die Wahrnehmungen und Interpretationen Ihrer Kolleg:innen haben nichts mit dem zu tun, was Sie gehört und wahrgenommen haben. „Haben die alle nicht zugehört?“, fragen Sie sich.
Wahrscheinlich haben Ihre Kolleginnen und Kollegen schon zugehört, aber zuhören ist eben nicht zuhören. Otto Scharmer, der Ökonom, Aktionsforscher und Weltverbesserer (im besten Sinn), hat vier Stufen des Zuhörens beschrieben:
Stufe 1 - Downloading: Ich höre, was ich schon weiß und kenne. Die Blase, in der ich lebe, funktioniert. Mein Wissen und meine Erfahrungen werden bestätigt. Etwas anderes nehme ich gar nicht wahr. So funktioniert eben mein Gehirn. Ich sitze in meinem Gedankengefängnis. Außerhalb der Gefängnismauern findet die Welt nicht statt.
Siehe auch:
Stufe 2 - Faktisches Zuhören: Ich werfe einen Blick aus meinem Gedankengefängnis. Ich nehme wahr, dass es Unterschiede zu meinen bisherigen Erfahrungen gibt. Ich bin überrascht, sehe neue Daten, neue Blickwinkel und ich beginne mich mit neuen Themen zu beschäftigen. Neugierde steigt in mir auf.
Nun könnte es ja so sein, dass Sie sich und Ihr Unternehmen weiterentwickeln möchten. Neugierde reicht dafür aber nicht aus, es braucht mehr. Es braucht die nächste Stufe des Zuhörens.
Stufe 3 - Empathisches Zuhören: Die neuen Daten und die neuen Fakten lösen in mir etwas aus. Ich bin emotional dabei. Neben dem Hören und Sehen kommen neue Antennen dazu. Ich beginne zu empfinden und nehme zusätzliche Informationen aus der Situation auf. Die Bilder kommen nicht mehr nur aus meinem Kopf, sie werden nun auch aus der Situation generiert. Es entsteht Resonanz, mit der Situation, mit anderen Menschen und den neu wahrgenommenen Umständen. Die Qualität der Erfahrung verändert sich. Innovation kann beginnen. Zum Beispiel tauche ich in meiner Rolle als Verkäufer:in in die Erfahrungswelt der Kund:innen ein. Der Volksmund nennt das: in den Schuhen der anderen stehen. Ich beginne, eine Beziehung aufzubauen. Denn: Wenn ich Menschen in ihrem Verhalten beeinflussen will und keine Hierarchie zur Verfügung habe, dann braucht es Beziehung und Resonanz. Diese Resonanz ist eine direkte Funktion meiner Fähigkeit, Beziehung aufzubauen.
Das Ende der Fahnenstange ist aber mit der Stufe 3 noch nicht erreicht. In der nächsten Stufe erreicht unser Zuhören eine noch tiefere Qualität:
Stufe 4 - Schöpferisches Zuhören: Unsere eigene Agenda, unsere uns eigene Wahrnehmung oder unser Wahrnehmungsgefängnis haben wir in dieser Stufe hinter uns gelassen. Wir nehmen wahr, was noch nicht da ist, oder zumindest noch nicht sichtbar ist. Wir graben etwas aus, kommen an ein Potenzial heran und machen es sichtbar. Das sind dann Situationen, die wir gelegentlich im Coaching oder in einer besonders produktiven Klausur erleben. Wir verbinden uns mit Möglichkeiten, die in der Zukunft liegen. Indem wir unsere eigene Agenda hinter uns lassen, kommen wir unserem eigenen Kern ein kleines Stück näher. Wir selbst, die Gruppe, mit der wir arbeiten, aber auch unsere Unternehmen sind ein Stück weit anders als vor dem Gespräch. Das sind die Situationen, in denen wir ein intensives Aha-Erlebnis haben, einen Durchbruch schaffen oder ein besonders kniffliges Problem gelöst haben.
Sie sind skeptisch? Dann beschäftigen Sie sich doch ein wenig mit der Frage der Robustheit!
Eine Frage der Robustheit
Rufen Sie sich einmal eine Situation, ein Gespräch, eine Sitzung oder einen Workshop in Erinnerung, bei dem Sie das Gefühl hatten, dass wirklich etwas „weitergegangen“ ist. Wo Sie das Gefühl hatten, dass etwas in Bewegung gekommen ist oder etwas – im positiven Sinne – anders war als davor.
Versuchen Sie nun nachzuvollziehen, wie sich dieses Ereignis in die vier Stufen des Zuhörens einordnen lässt.